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Mehr Licht - Digital Story

Einige Fragen zur Ölstudie...

Die Ölstudie ist die größte Revolution in der Kunst des 19. Jahrhunderts – technisch und mentalitätsgeschichtlich. Mit ihr hielt Geschwindigkeit Einzug in die Malerei: In wenigen Minuten wurden die Wolken am Himmel, die Welle am Strand und die Sonne auf der Hauswand in Kunst verwandelt und häufig vermitteln die Bilder dabei den Eindruck, als würde man den Malerinnen und Malern bei ihrer Arbeit über die Schulter und gemeinsam auf die Natur schauen. Aber was verstehen wir eigentlich unter Ölstudien? Wie entstanden sie und warum sprechen sie uns heute manchmal mehr an, als die Atelierbilder derselben Künstlerinnen und Künstler? 

Was sind eigentlich Ölstudien und wozu wurden sie angefertigt?

Bei den Ölstudien des 19. Jahrhunderts handelt es sich meist um kleinformatige Bilder, die im Gegensatz zu den Atelierbildern seltener auf Leinwand, sondern mit Ölfarbe meist  auf Papier, Pappe oder Holz gemalt wurden.  Sie entstanden direkt in der Natur,  wo die Malerinnen und Maler ihre Motive fanden. Diese wurden häufig ausschnitthaft wiedergegeben.
Oft handelt es sich bei den Ölstudien um kleine Momentaufnahmen, die als Dokumentations- und Inspirationsmaterial dienten. Sie wurden von den Künstlerinnen und Künstlern in ihren Ateliers als Erinnerungsstücke und teilweise auch als Motivvorlagen gesammelt. In zahlreichen Fällen stand die Studie am Beginn eines Werkprozesses und diente dazu, eine bestimmte Ansicht, Stimmung oder Atmosphäre in das Ateliergemälde zu übertragen.  Ein Großteil der Studien wurde jedoch letztendlich nie als Vorlage für Naturdetails in Ateliergemälden verwendet. Der Begriff der Ölstudie bezieht sich also nicht auf den zukünftigen Verwendungszweck, sondern steht für ausschnitthafte Abbildung der Wirklichkeit.

Johann Martin von Rohden: Baumstudie (Rom), o.J. Privatsammlung

In der Baumstudie von Johann Martin von Rohden, erscheint der Baum als eigenständiges Motiv. Der Fokus liegt auf dem Inneren der Baumkrone und es wird deutlich, welche Faszination das Licht- und Schattenspiel auf den Künstler ausübte. Zum Bildrand hin verlieren sich die Konturen, der Farbauftrag wird lockerer und die Pinselstriche gröber. Es wird sichtbar, dass von Rohden hier mit größerer Geschwindigkeit arbeitete, einzelne Blätter werden nur noch angedeutet.

Bildausschnitt aus: Johann Martin von Rohden: Landschaft mit Albaner Bergen, Nemisee, 1818 Die Lübecker Museen, Museum Behnhaus Drägerhaus

In dieser Detailansicht aus einem Gemälde von Johann Martin von Rohden, wird der Unterschied in Bedeutung und Ausführung des Baumes im Atelierbild im Gegensatz zu der in einer Ölstudie sichtbar. Die Bäume werden hier zur Staffagen in einem durchdachten Kompositbild, das symbolisch aufgeladen ist. Die Blätter des Baumes sind von großem Detailreichtum und jeweils einzeln ausgearbeitet.

Johann Martin von Rohden: Landschaft mit Albaner Bergen, Nemisee, 1818 Die Lübecker Museen, Museum Behnhaus Drägerhaus

Zusätzlich zu ihrer Funktion als Inspirationsquellen für eigene Bilder, wurden an Kunstakademien die Studien der Lehrer von Studenten der Landschaftsklasse zur Übung kopiert. Darüber hinaus hatten sie zur Zeit ihrer Entstehung kaum Publikum und blieben größtenteils im Besitz der Künstlerinnen und Künstler. Denn lange Zeit wurden Ölstudien nicht als eigenständiges Kunstwerk angesehen - erst die moderne, vom Impressionismus geprägte Sehweise hob die Ölstudie in diesen Status. So blieben zahlreiche Ölstudien des 19. Jahrhunderts auch unsigniert. Sie bieten so heute Gelegenheit, sich - befreit von dem Personenkult um einige Künstler - ausschließlich mit dem Werk zu beschäftigen.

Wie entstanden die Ölstudien?

 „Als ich eines Tages so in meine Arbeit vertieft dasaß, machte ein kleines Geräusch mich aufsehen, und zu meinem nicht geringen Erstaunen erblickte ich drei kleine Hausthüren, ordentlich auf Menschenfüßen den Berg hinabwandelnd. Ich erinnerte mich, daß ich eine komische Beschreibung von den riesengroßen Malkasten einiger französischer Maler gehört hatte, die seit mehreren Tagen in der Sibylle einquartirt waren. Diese Riesenkasten, auf die Rücken von Jungen geschnallt, welche dadurch bis auf die Füße bedeckt wurden, waren es, die hier vorbeizogen, und bald folgten ihnen auch die Inhaber."

(Ludwig Richter, Lebenserinnerungen eines deutschen Malers. Selbstbiographie nebst Tagebuchniederschriften und Briefen, hrsg. v. Heinrich Richter, Frankfurt am Main 1885, S. 158 f. )

Luxusmalkasten, hergestellt von Alphonse Giroux, Maler und Kunsttischler, Paris um 1830

Für die Anfertigung von Ölstudien begaben sich die Künstlerinnen und Künstler meist mit ihren Malutensilien direkt in die Natur. Nachdem sie die Motive im Freien lange mit Stift und Papier skizziert hatten, kamen für die Ölstudien ab dem 19. Jahrhundert auch mobile Malkästen zu Einsatz: Es handelte sich dabei um aufklappbare Koffer, in deren oberer Seite sich manchmal mit Reißzwecken Papier, Karton oder Leinwandstücke befestigen ließen. Die entsprechenden Löcher sind in den Ecken einiger Bilder noch sichtbar und Qualitätsmerkmal für Sammler und Sammlerinnen, denn sie belegen mit großer Wahrscheinlichkeit, dass Studie wirklich in der Natur entstanden ist. Unten im Kasten befand sich Platz für Farben, Pinsel und andere Malutensilien. 1841 meldete der Maler John G. Rand ein Patent für Ölfarben in der Tube an, welche zuvor meist in Schweineblasen transportiert wurden. Diese neue Möglichkeit, malfertige Farbe zu verwahren und zu transportieren, wird auch die Anfertigung vieler Ölstudien im 19. Jahrhundert erleichtert haben.

Johann Wilhelm Cordes: Landschaft mit Hemmelsdorfer See, 1847

Künstler wie der Lübecker Maler Johann Wilhelm Cordes hielten den Entstehungszeitpunkt des malerisch festgehaltenen Moments zuweilen durch das Einritzen von Datum, teilweise sogar der Tageszeit, in die noch frische Farbe fest. Welche Studien vollständig in der Natur gemalt wurden und welche vielleicht wegen eines heranziehenden Regenschauers oder der schlechter werdenden Lichtverhältnisse im Atelier vollendet wurden, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. 

Warum begannen die Künstler:innen in der Wende zum 19. Jahrhundert Ölstudien in der Natur zu malen?

Das Bedürfnis, die Natur in Farbe abzubilden, war eng verknüpft mit der veränderten Wahrnehmung der Welt in Zeiten von Aufklärung und Säkularisation: Das religiöse Verständnis von Himmel und Erde verlor immer mehr an Bedeutung, Wirklichkeit und Natur rückten dafür immer mehr in den Fokus der Künstler und Künstlerinnen. Unterstützt wurde das Bedürfnis, die Natur zu malen, von der neu gewonnen Möglichkeit, Ölfarben wie oben beschrieben mit auf Reisen zu nehmen, um so in Öl das Farbspektrum des Himmels und der Landschaft mit all seinen Abstufungen direkt vor dem Motiv einzufangen und auf den Malgrund zu übertragen.  Zusätzlich wurden die Malerinnen und Maler von großen Erkenntnisschüben in Meteorologie, Vulkanologie, der Analyse von Licht und Gestein und der Systematisierung von Wolkenformen zu Genauigkeit und Detailreichtum in der Naturwiedergabe animiert. 

1809 beschrieb beispielsweise der Pharmakologe und Apotheker Luke Howard in seinem Vortrag "Über die Modifikation der Wolken" deren Form, stellte Überlegungen zu ihrer Entstehung und Veränderung an und entwickelte ein System zur Klassifikation, in dem er alle Wolken in die drei Grundtypen "Cirrus", "Stratus", und "Cumulus" einteilte. Caspar David Friedrich weigerte sich damals, Goethes Wunsch nachzukommen und die Wolkenklassifikationen nach Howard abzubilden. Für viele Künstler und Künstlerinnen waren Wolken jedoch über ihre Klassifikation hinaus ein faszinierendes Motiv für ihre Ölstudien. Die Wolkenstudien von Johann Jakob Frey wirken auf den ersten Blick wie Untersuchungen der verschiedenen Wolkentypen, die Howard circa dreißig Jahre zuvor einteilte. Schnell wird allerdings deutlich: In der Betrachtung Freys ist das Licht, das auf und durch die Wolken hindurchfällt und die Stimmung, die dadurch erzeugt wird, mindestens genauso spannend wie die unterschiedlichen Formen der Wolken. 

Johann Jakob Frey: Wolkenstudie, um 1835/1839 Privatsammlung
Abbildung aus: Luke Howard: Essay on the modification of clouds (first published 1803, third edition) "Cumulus breaking up, Cirrus & Cirrocumulus above"
Johann Jakob Frey: Wolkenstudie (bei Rom?), um 1835/39 Privatsammlung
Abbildung aus: Luke Howard: Essay on the modification of clouds (first published 1803, third edition) " Cumolostratus, as produced by the inosculation of Cumulus with Cirrostratus. Cirri above, passing to cirrocumulus"
Was macht die Ölstudie so modern?

Blicken wir heute auf die Ölstudien des 19. Jahrhunderts, so finden wir zu ihnen teilweise schneller einen Zugang als zu den großformatigen und fein ausgearbeiteten Atelierbildern der Romantik. Die Bildausschnitte, Motivwahl und teilweise gerade ihre Unvollendetheit lassen sie unmittelbar und frisch erscheinen. Aber auch in der Malweise zeigen sich hier bereits Parallelen zur  modernen Malerei.  So findet sich beispielsweise spätestens im Impressionismus das Stilprinzip der Ölstudie - mit seiner schnellen, skizzenhaften Strichführung - auch in den Gemälden wieder. In Studien von Hans Thoma oder Christian Friedrich Gille zeigt sich, dass die sichtbaren, groben Pinselstriche, in denen das Grün einzelner Blätter sich miteinander mischt und die später in verstärkter Form zum Charakteristikum von Impressionisten wie Max Slevogt werden, bereits in der Ölstudie vorhanden sind. 

Hans Thoma: Waldstudie (Schwarzwaldtannen), um 1864 Die Lübecker Museen, Museum Behnhaus Drägerhaus
Detailansicht aus: Max Slevogt, Pfälzer Landschaft, 1914

Situationen und Gegenstände, die vorher nicht als bildwürdig galten, die sich nicht nach den Wünschen der Auftraggeber und einem potenziellen Markt richteten, wurden in der Ölstudie zum Motiv. Das Nebensächliche rückte in den Fokus und es wurde mit neuen Kompositionen experimentiert. Das Ergebnis sind Bilder, die oftmals nicht dem im 19. Jahrhundert vorherrschenden Ideal eines klassischen Landschaftsbildes entsprechen, dafür aber einen neuen Blick auf die Natur ermöglichen.

 

Arnold Böcklin: Teich mit Seerosen

Besonders interessant ist in diesem Kontext eine Studie, die um 1846 etnstand. Arnold Böcklin, damals Student an der Kunstakademie Düsseldorf, malte einen Teich mit Seerosen, der auf den ersten Blick fast wie ein abstraktes Gemälde wirkt. Zunächst dominiert eine dunkle Fläche das Bild, das am oberen Rand von einem helleren Streifen abgeschlossen wird. Erst bei näherer Betrachtung erschließt sich der Bildraum und unten links wird eine Steingruppe sichtbar, in der Bildmitte das dunkle Wasser mit Seerosen und oben das gegenüberliegende, dichtbewachsene Ufer. Nach und nach werden auf dem Grund des Wassers weitere Steine sichtbar. Böcklin changiert zwischen Fläche und Tiefe und spürt den Farben und Strukturen nach, die den Bildraum in diesem Werk gliedern. Die so entstandenen gestapelten Farbflächen erinnern aus der Ferne betrachtet fast an die Malerei des 76 Jahre später geborenen Mark Rothko oder die des dänischen Künstlers Per Kirkeby, der sich 2003 in seinem Werk "Neuzeit V" dem Motiv eines in einen Seerosenteich mündenden Flusslaufes widmete.
Durch die ungewöhnliche Perspektive, die Wahl eines speziellen Bildausschnitts und dem Spiel zwischen Fläche und Tiefe, die in Böcklins Studie besonders prägnant sind, zeigt sich gerade im direkten Vergleich mit zeitgenössischen Künstlern, wie viel Innovation bereits in diesem neuen Blick auf die Landschaft lag und dass die Motive von damals auch heute noch aktuell sind.

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