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Gothmund - Fischerdorf und Künstlerort an der Trave

Das Fischerdorf Gothmund zog Ende des 19. Jahrhunderts eine Reihe von Künstlern an, die auf ihren Studienreisen stets auf der Suche nach neuen Landschaftsmotiven waren. Gustav Wendling kam von der Düsseldorfer Kunstakademie hierher, Ernst Eitner von der Großherzoglich Badischen Kunstschule Karlsruhe, Carl Malchin aus Schwerin und Max Wieczorek und Andreas Dirks aus Weimar. In Gothmund fanden sie  auf engstem Raum eine Vielzahl malerischer Motive: eng stehende Fischerhäuser mit Strohdächern, Gärten und Hänge, weite Aussichten auf die Trave mit ihren Schiffen, die Menschen bei ihrer Arbeit und nicht zuletzt Licht, Himmel und Wolken. Zeichnungen, Aquarelle und Ölstudien entstanden meist in der Natur, direkt vor dem Motiv.

Eine Besonderheit Gothmunds ist, dass das Fischerdorf und seine Motive bis heute erlebbar sind. Trotz einiger Veränderungen ist die für die Künstlerinnen und Künstler schon damals so faszinierende Atmosphäre noch spürbar und die Inspiration für eine Vielzahl ihrer Bilder ist weiterhin deutlich erkennbar. Im Vergleich mit historischen  Fotos aus der Siedlung lässt sich nachverfolgen, wie die Malerinnen und Maler reale Motive interpretierten und in ihren Bilder umsetzten - für den aktuellen Blick auf einige der Motive lohnt sich ein Besuch des Dorfes. 

Carl Malchin: Fischerdorf Gothmund an der Trave, 1887, Staatliches Museum Schwerin
Auf dem Weg nach Gothmund

Über Israelsdorf nach Gothmund


Der Weg nach Gothmund führte die Künstlerinnen und Künstler meist über den Nachbarort Israelsdorf. Dort kamen sie in der Regel an und fanden auf ihren Malexkursionen bei Wirtsleuten Unterkunft. Zudem bot Israelsdorf ein noch ganz klassisches Bildmotiv, das auch kunsthistorisch betrachtet auf dem Weg zu den modernen Gothmundansichten lag: Eine alte knorrige Eiche stand als Wahrzeichen Israelsdorfs nahe des Hirtenteichs vor einer alten Reetdachkate an der Weggabelung von Dorfstraße und dem Weg nach Gothmund. Der Baum wurde als klassisch-romantisches Bildmotiv von vielen verschiedenen Künstlern wie Karl Gatermann, Paul Müller-Kaempff oder Carl Malchin gemalt und gezeichnet. Die Eiche als "Bildheld", geschichtsträchtig und bedeutsam aufgeladen, ist somit auch ein Gegenmotiv zu den flüchtigen und vergänglichen Bildmotiven, die es in Gothmund einzufangen galt und deren Bildwürdigkeit man erst entdecken musste.

Karl Gatermann: Hirtenteich in Israelsdorf, um 1920
"Tausendjährige Eiche" und Katen. Fotografie von Johannes Nöhring, um 1870.

Die Eiche verlor mit der Zeit immer mehr ihrer großen Äste und wurde morsch. Obwohl im Volksmund auch als die tausendjährige Eiche bezeichnet, war der Baum, als er im Jahr 1932 gefällt wurde, vermutlich „erst“ etwa 700 Jahre alt. Der Hirtenteich und die Räucherkaten, die oft zusammen mit der Eiche abgebildet wurden, stehen auch heute noch in Israelsdorf. Auch viele der anderen alten Eichen sind bis zum jetzigen Zeitpunkt stehen geblieben.

Von Karlsruhe über Norwegen nach Gothmund

Ernst Eitner: Skizzenbuch, 1889: "Hakon Adelsten 7. Juni '89"

Der Hamburger Maler Ernst Eitner kam 1889 erstmals ins eigentlich nahegelegene Gothmund über den Umweg Karlsruhe-Norwegen. Als Student der Akademie in Karlsruhe war Eitner einer studentischen Musikkapelle beigetreten, die sich mit einem italienisch-spanischen Programm etwas Geld dazuverdiente. Im Juni 1889 entschied man sich, mit diesem südlichen Musikprogramm nach Norwegen zu reisen. Die Überfahrt auf dem „norwegischen Fischdampfer Hakon Adelsten“ hielt Eitner in seinem Skizzenbuch am 7. Juni 1889 fest. Trotz anfänglicher Erfolge schrieb Eitner später in seinen Lebenserinnerungen rückblickend: „Da wir sechs immer in ersten Hotels wohnen mussten, deckten sich schließlich die guten Einnahmen mit den Kosten und dem Lebensstandard nicht.“ Man brach die Norwegenreise ab, kehrte zurück nach Hamburg, wo Eitner eigentlich wieder als Lithograph arbeiten wollte. Sein Kommilitone Gustav Wendling entgegnete ihm jedoch: „Bei Lübeck liegt ein Fischerdorf an der Trave. Da war ich einmal. Der Wirt dort pumpt, glaube ich, kommen Sie mit mir.“ Noch mit der Datierung „Juni“ finden sich dann in Eitners Skizzenbüchern die ersten Studien aus Gothmund.

Ernst Eitner: Skizzenbuch 1889: "Beim Netz flicken. Gothmund. Juni '89"

Über seinen ersten Aufenthalt in Gothmund schrieb Ernst Eitner in seinen Lebenserinnerungen, dass sich kurz nachdem er dort mit Gustav Wendling eingetroffen war, noch zwei Maler aus Weimar – Max Wieczorek und Andreas Dirks – in dem Dorf an der Trave einfanden. „So waren 4 ganz verschiedene Talente und Charaktere beisammen, jeder arbeitet verschieden in Auffassung und Technik. Viele Fahrten auf der Trave in den schweren Eichenholzboten, die wir benutzen durften.“ Auf einem solchen zeichnete Eitner seinen Kollegen Wieczorek im Skizzenbuch.

Ernst Eitner: Skizzenbuch 1889: "Maler Max Wieczorek in Gothmund"
Das Fischerdorf Gothmund

Der Hafen

Das erste bekannte Bild, das Gothmund zum Motiv hat, malte der damalige Student der Kunstakademie Düsseldorf Gustav Wendling 1884. In diesem zeigt er die Gesamtansicht des Fischerortes mit Gärten, Fischerkaten, Bewohnerinnen und Bewohnern und dem Gothmunder Hafen. Dieser ist von besonderer Bedeutung für das Dorf, das erstmals 1502 unter dem namen "Godmunde" erwähnt wird. Entstanden ist Gothmund aus Schutzhütten, die Travefischer auf dem langen Weg zu ihren Fanggebieten in der Ostsee zwischen Lübecks Hafen und der Travemündung bauten. Die Fischerei blieb über viele Jahrhunderte hinweg prägend für Gothmund. Sein Fischereihafen, niederdeutsch "Schülln" ist durch den Treidelstieg begrenzt, der früher zwei überbrückte Einfahrten hatte.

Gustav Wendling: Fischerdorf Gothmund, 1884
historische Fotografie mit Blick auf den Gothmunder Hafen
Gustav Wendling: Im Schülln, um 1890
Wilhelm Schodde: Blick vom Hafen auf Gothmund
historische Fotografie des Gothmunder Hafens mit überbrücktem Treidelstieg
Heiko Jäckstein: Gothmund 205 Hommage an Wendlings "Fischerdorf Gothmund", 2022

Der Gothmunder Hafen wird von den Künstlern ganz unterschiedlich dargestellt: Mal als Gesamtansicht des Dorfes, in der die charakteristischen Motive wie Trave, Fischerboote, Gärten und Fischerkaten abgebildet werden, mal in ausschnitthaften und schnell vor Ort entstandenen Studien, die einen flüchtigen Moment - zum Beispiel eine Spiegelung auf dem Wasser- festhalten. 

Die Katen, ihre Bewohnerinnen und Bewohner

Die Fischerkate Nr. 19

Die Fischerkate Nr. 19 wählte der Künstler Christian Rohlfs gleich mehrfach zum Motiv seiner Bilder. Mehrere Pastelle aus dem Jahr 1899 zeigen das Haus eingebettet in die Natur. Die Fischerkate hat sich bis heute erhalten: 1966 wurde sie versetzt und ist nun zwar nicht mehr an ihrem ursprünglichen Ort in Gothmund, sondern im Freilichtmuseum Molfsee bei Kiel zu sehen.  

Christian Rohlfs: Fischerhaus an der Trave, 1899, Kunsthalle Kiel
historische Fotografie der Fischerkate Nr.19
Christian Rohlfs: Fischerhaus in Gothmund, 1899
historische Fotografie der Fischerkate Nr.19
historische Fotografie der Fischerkate Nr.19
Gothmunder Fischerhaus Nr.19, Freilichtmuseum Molfsee, 1971

Die Katen Nr. 10 & 11

Die beiden Fischerkaten Nr. 10 und 11 bilden ein besonders beliebtes Motiv in Gothmund. Die Häuser wurden von Ernst Eitner, aber auch von einer Vielzahl seiner Malerkollegen häufig gemalt. Eitner zeigt in seinen Gemälden, Zeichnungen und Aquarellen verschiedene Blickwinkel auf das Motiv: Sowohl der Blick auf die Häuser als auch zwischen ihnen hindurch wurde von ihm festgehalten. Bei einem Brand 1893 wurden viele der alten Katen zerstört, der unversehrte Teil beginnt allerdings bei der Nr. 10, sodass der charakteristische Blick zwischen den Katen hindurch auch heute noch zu sehen ist.

Ernst Eitner: Fischerhäuser in Gothmund an der Trave, 1894
Ernst Eitner: Lithografie Fischerhäuser an der Trave

Der Fischerweg

Die Fischersiedlung wurde durch den parallel zur Trave verlaufenden Fischerweg erschlossen. Südlich davon befinden sich am Hang die Wohnhäuser, nördlich des Weges die ursprünglich für die Eigenversorgung der Fischer angelegten Gemüsegärten. Wie insbesondere in den Bildern von Ernst Eitner zu sehen, diente der Weg entlang der Katen nicht nur als Verbindungsachse, sondern auch als Begegnungsort, an dem sich bei gutem Wetter zwischen den Häusern Kinder zum Spielen, Frauen zur Handarbeit unter den Dachüberständen und Männer zur Arbeit an den Netzen einfanden. 

Ernst Eitner: Gothmund bei Lübeck (Fischerweg), 1948
historische Fotografie des Fischerwegs

Die Bewohnerinnen und Bewohner

Neben dem Blick auf den Hafen, die Boote und Fischerkaten, interessierten und faszinierten auch die Menschen, ihr alltägliches Leben und ihre Tätigkeiten die auswärtigen Künstler und Künstlerinnen.  Eine Vielzahl von Studien, auf Leinwand und in Skizzenbüchern, geben Einblick in den von der Arbeit geprägten Alltag der Bewohnerinnen und Bewohner Gothmunds. Frauen beim Wäschewaschen oder der Essensvorbereitung wurden ebenso zu Motiven wie Fischer beim Flicken ihrer Netze oder dem Haspeln einer Aalschnur.

Ernst Einer: Skizzenbuch, 1889
historische Fotografie einer Gothmunderin vor dem Schuppen ihrer Kate
Ernst Eitner: Gothmunder Fischer bei der Aalschnurarbeit, 1890
Ernst Eitner: Zwei Gothmunder Fischer, um 1890
Heiko Jäckstein: Gothmund 114 - Fischermeister Hannes Kühn im Bootsschuppen, 2019
historische Fotografie von Gothmunderinnen auf dem Heimweg vom Lübecker Markt
Ausblick in die Travelandschaft

Der Blick in die Ferne, Sonnenlicht und Wolken, die sich im Wasser der Trave spiegeln, die besondere Atmosphäre eines plötzlichen Wetterumschwungs - all das übte eine große Faszination auf die Künstler und Künstlerinnen aus und machte die Weite der Travelandschaft zu einem beliebten Motiv. In den Trave-Bildern zeigt sich die vielfältige Bedeutung des Flusses: Als Arbeitsort für Fischer, Ausflugsziel für Spaziergänger und Reisende und als Motiv- und Inspirationsquelle für die Maler und Malerinnen vor Ort. 

Gustav Wendling: Blick über die Trave, um 1890
historische Fotografie des Blicks über die Trave mit Fischerboot
Carl Cowen Schirm: An der Trave, 1887
Johann Wilhelm Cordes: Die Trave bei Schlutup, 1847
Sophus Hansen: An der Trave, um 1900
Gustav Wendling: Fischtonnen, um 1890. Städtisches Museum Braunschweig

Die Industrialisierung an der Trave


Anfang des 20. Jahrhunderts waren es hauptsächlich Lübecker Künstlerinnen und Künstler, insbesondere aus der Malklasse Willibald Leo von Lütgendorff-Leinburgs, die in Gothmund malten. Mit der beginnenden Industrialisierung, der Veränderung des Landschaftsbildes und dem drohenden Ende der Idylle zogen viele der auswärtigen Künstler und Künstlerinnen weiter. 
Der ursprüngliche Verlauf des Flusses mit Sandbänken, kleinen Inseln und vielen Buchten wurde mit dem Aufkommen von Dampfschiffen schon ab 1850 immer weiter begradigt und vertieft, um großen Schiffen und Frachtern die Zufahrt zum Lübecker Hafen zu erleichtern. Etwa 50 Jahre später, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, entstanden am nördlichen Traveufer von Dänischburg bis Herrenwyk weitläufige Industriegebiete, flankiert von einer neuen Eisenbahnstrecke. Nahe der Stadt wurde das Travewasser durch die Abwässer der neuangesiedelten Industrie immer mehr verunreinigt und führte so um 1930 zu einer regelrechten Notlage der Fischer, deren Fänge stetig nachließen. 
Ursprünglich angelockt durch die Natur und die Abgeschiedenheit, wurde nun für einige Künstlerinnen und Künstler auch der menschengemachte Wandel der Landschaft zum Motiv ihrer Arbeiten.


Leopold Thieme: Hochofenwerk, 1935
historische Fotografie von dem Hochofenwerk Lübeck
historische Fotografie von dem Hochofenwerk Lübeck
Fritz Witt: Flenderwerft, 1981
Richard Eschke: Oelmühle
historische Fotografie der alten Herrenbrücke bei Siems mit Ölmühle, um 1940
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